Homecare-Kongress am 16.10.2013 in Leipzig

Leipzig/Berlin. Klare Vorgaben für die Versorgungsqualität im Hilfsmittelbereich durch leitlinienbasierte Behandlungspfade forderten die Experten des verbändeübergreifenden Homecare-Kongresses während der Messe "Pflege + Homecare Leipzig" am 16. Oktober 2013.

Experten fordern klare Vorgaben für die Versorgungsqualität im Hilfsmittel- und Homecare-Bereich

Leipzig/Berlin. Klare Vorgaben für die Versorgungsqualität im Hilfsmittelbereich durch leitlinienbasierte Behandlungspfade forderten die Experten des verbändeübergreifenden Homecare-Kongresses während der Messe "Pflege + Homecare Leipzig" am 16. Oktober 2013. "Wir brauchen einen klaren Maßstab der Versorgungsqualität", so Klaus-Jürgen Lotz vom Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik. Dr. Matthias Müller vom Verband der Schwerhörigen und Ertaubten forderte zentrale Anlauf- und Bearbeitungsstellen, um Menschen mit Behinderungen bei der Versorgung mit Hilfsmitteln unbürokratischer zu unterstützen. Jan Wolter von Spectaris und Patrick Koch von der Fachvereinigung Medizinprodukte kritisierten die Krankenkassen für ihre undifferenzierte Kostenbetrachtung und einen "Spar-Aktionismus", der zu Lasten der Patienten gehe, die regelmäßig auf Hilfsmittel angewiesen sind. BVMed-Vorstand Klaus Grunau betonte die besondere Bedeutung von Homecare-Dienstleistungen im deutschen Gesundheitssystem und plädierte für die Erarbeitung von Versorgungsstandards, um die Qualität zu verbessern.

Bereits etwa 6 Millionen Menschen sind in Deutschland auf die Versorgung durch Homecare-Unternehmen angewiesen. Bis zum Jahr 2050 wird sich diese Zahl verdoppeln. Um mittel- und langfristig weiterhin die medizinisch notwendige Versorgung der Patienten im häuslichen Umfeld sicherstellen zu können, sind das Zusammenspiel der Akteure und eine effektive Nutzung der vorhandenen Ressourcen notwendig. Hierfür gilt es, frühzeitig die Weichen zu stellen.

Der Branchentreff während der Leipziger Pflege- und Homecare-Messe sollte dazu beitragen, die Rolle und Bedeutung der Homecare-Branche herauszustellen und frühzeitig Botschaften an die Politik zu transportieren.

Die Statements zur Podiumsdiskussion auf dem Homecare-Kongress in Leipzig:

Klaus Grunau (Hollister), Mitglied des BVMed-Vorstands:
"Homecare hat sich entwickelt, weil unser Gesundheitssystem Leistungserbringer benötigt, die ärztlich veranlasste Therapien, bei denen Hilfsmittel oder enterale Ernährung zum Einsatz kommen, professionell und kompetent im ambulanten Bereich durch- bzw. weiterführen. Der Bedarf für solche Leistungen hat sich durch die Einführung der DRGs (kürzere Liegezeiten) noch verstärkt.

In Zusammenarbeit mit Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten, Pflegediensten und ggf. Angehörigen von Patienten hat sich Homecare zu einer nicht mehr wegzudenkenden Versorgungsleistung im deutschen Gesundheitssystem entwickelt. Homecare ist viel mehr als nur ein Lieferant von Medizinprodukten.

Typische Homecare-Dienstleistungen, zu denen z.B. das Überleitungsmanagement oder die mit dem Arzt abgestimmte Planung und Dokumentation von Patientenversorgungen gehören, sind zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer Versorgung 'ohne Brüche' geworden. Viele Krankenkassen haben das positiv erkannt. Noch werden diese Leistungen überwiegend durch auskömmliche Preise für die untrennbare Kombination von Produkt und Dienstleistung gewürdigt.

Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass das Potenzial der Homecare-Versorgung auch von den Gesundheitspolitikern erkannt wird. Ein wichtiger Schritt hierzu ist die Erarbeitung von Versorgungsstandards welche die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität verbindlich festlegen und deren Durchführung auch kontrolliert wird. Der BVMed ist bereit, sein Know-how bei der Erstellung von leitlinienbasierten Behandlungspfaden einzubringen."

Klaus-Jürgen Lotz, Präsident des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik (BIV-OT):
"Für den Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik steht die gute Versorgung der Patienten mit Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln im Vordergrund. Aber was bedeutet 'gut'? Diese recht einfach klingende Frage ist bis heute nicht geklärt. Unter dem Kostendruck der Krankenkassen bedeutet dies zu häufig 'billig'. Hier ist es dringend notwendig, den Leistungsanspruch der Patienten zu konkretisieren und damit den Begriff der Versorgungsqualität zu definieren.

Die Krankenkassen und Pflegeversicherungen als Kostenträger sowie die Leistungserbringer müssen sich hier nach klar definierten Versorgungsmaßstäben richten. Der Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik setzt sich daher für die Schaffung von sogenannten Versorgungspfaden durch ein unabhängiges Expertengremium ein, die einen klaren Maßstab der Versorgungsqualität beschreiben.

Die dramatischen Entwicklungen, die unter dem Schlagwort 'Demografischer Wandel' beschrieben werden, bedeuten für die Zukunft einen deutlich steigenden Bedarf an der Hilfsmittelversorgung. Dieser steigende Bedarf kann nicht durch vertragliche Preissenkungen oder Rationalisierungen aufgefangen werden. Vielmehr muss die Politik hier bereit sein, mehr Geld für die Hilfsmittelversorgung auszugeben. Wenn dies nicht der Fall ist, muss die Politik klar Stellung beziehen und offen aussprechen, dass das Niveau der Versorgung in Deutschland zwangsläufig dramatisch sinken wird. Hier besteht deutlicher Handlungsbedarf."

Jan Wolter, Leiter des Fachverbandes Medizintechnik bei Spectaris Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien:
"Über die letzten Monate hat sich eine für die Versicherten wie auch für Industrie und Handel kritische Tendenz weiter zugespitzt: die strategische Ablehnung und Verzögerung von Versorgungen durch die Krankenkassen; so werden nicht nur vereinzelt den Versicherten rechtmäßig zustehende Versorgungen von der Krankenkasse abgelehnt oder ein Bescheid aufgeschoben. Insbesondere ältere oder schwächere Versicherte setzen sich dabei kaum zur Wehr und erhalten damit nicht die Versorgung, auf die sie einen gesetzlichen Anspruch haben. Krankenkassen reagieren erst auf massiven Druck, beispielsweise wenn Anwälte eingeschaltet werden oder ein Gerichtsprozess sich abzeichnet.

Die Krankenkassen nutzen damit eine fatale Gesetzeslücke. Schließlich müssen sie im für sie schlimmsten Fall nur das erstatten, was sie ohnehin hätten erstatten müssen. Gegebenenfalls werden sie vom Bundesversicherungsamt ermahnt, eine Ermahnung, die ohne jede Konsequenz bleibt und dazu auch noch kaum ausgesprochen wird. Es drängt sich der Vergleich mit einem Einbrecher auf, der, auf frischer Tat ertappt, als Strafe lediglich die gestohlene Ware zurückbringen und gegebenenfalls das aufgebrochene Schloss ersetzen muss. Wenn die Krankenkassen gewissermaßen tun und lassen können, was sie wollen, ohne eine Strafe fürchten zu müssen, ist auch nicht mit einer Änderung ihres Verhaltens zu rechnen. Hier ist die Politik gefragt. Sie muss die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, die eine scharfe Sanktionierung des Fehlverhaltens der Krankenkassen ermöglichen."

Patrick Koch (Geschäftsführer Carenetic), Fachvereinigung Medizinprodukte (fmp):
"Die fmp fordert die Politik auf, die Krankenkassen bei der Umsetzung der gesetzlich festgelegten Ziele im Gesundheitswesen deutlich stärker zu beaufsichtigen. Die nicht zuletzt auch aus volkswirtschaftlichen Gründen geforderte Stärkung der häuslichen Versorgung, die es jedem Pflegebedürftigen ermöglichen soll, zuhause zu leben, wird durch das tägliche Leistungsverhalten vieler Krankenkassen in Frage gestellt.

Insbesondere in der Hilfsmittelversorgung, die dazu beitragen soll, eine selbstständige Lebensführung zu unterstützen und die häusliche Pflegesituation zu erhalten, ist in den vergangenen Jahren ein drastischer Leistungsverfall zu verzeichnen. Der in § 12 SGB V verankerte Grundsatz einer für den einzelnen Patienten ausreichenden und zweckmäßigen Versorgung wird in der Praxis durch eine undifferenzierte Kostenbetrachtung und pauschale Verweise auf das Wirtschaftlichkeitsgebot untergraben.

Das Gespenst des Zusatzbeitrages, das zum Verlust von Mitgliedern und damit zur wirtschaftlichen Notlage führen kann, hat bei vielen Krankenkassen in Bereichen, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, zu einem willkürlichen Spar-Aktionismus geführt. In diesem Zuge sind die Erstattungspreise der gesetzlichen Krankenversicherung für Hilfsmittel wie Rollstühle, Matratzen gegen das Wundliegen, Inkontinenzprodukte oder Bad- und Toilettenhilfen in den vergangenen 10 Jahren um durchschnittlich 70 Prozent, in einzelnen Produktbereichen um bis zu 90 Prozent gesunken.

Um wirtschaftlich überleben zu können, haben viele Leistungserbringer bei gleichzeitig steigenden Betriebskosten die Produkt- und Dienstleistungsqualität gegenüber dem Versicherten im gleichen Maße reduziert. Da keine Vertrags- und Qualitätskontrollen durch die Krankenkassen stattfinden, kommt beim Patienten zunehmend weniger Leistung an. Die Politik muss in diesem Zusammenhang die Position des Bundesaufsichtsamts wesentlich stärken. Dem BVA fehlt es häufig an Transparenz aber auch an Fachkompetenz, die Vertragsgestaltung der Krankenkassen und ihre Folgen für die Patientenversorgung zu prüfen.

Weiterhin muss die Politik dringend den Status und die Machtstellung des GKV-Spitzenverbandes überprüfen, der durch seine Monopolstellung in vielen Vertragsfragen des SGB V die Wettbewerbsbedingungen im Gesundheitswesen verzerrt und eine rein kostendämpfungsorientierte Versorgungspolitik zu Lasten der Patientenbedürfnisse verfolgt."

Dr. Matthias Müller, Landesverband der Schwerhörigen und Ertaubten Sachsen:
"Menschen mit Behinderungen haben einen hohen Bedarf an Heil- und Hilfsmitteln, um ihren gesetzlich geregelten Nachteilsausgleich zu verwirklichen. Leider geschieht dies aber nur sehr bürokratisch und schleppend, auch die UN-Behindertenrechtskonvention, die den Behinderten vom Bittsteller zum Anspruchsberechtigten aufgewertet hat, hat daran wenig geändert. Die Ursachen liegen dafür nach wie vor in der nicht barrierefreien und verwaltungstechnisch aufwendigen Beantragung, ohne zentrale Anlauf- und Bearbeitungsstellen.

Außerdem werden die individuellen Bedürfnisse und darauf abgestimmte Lösungsansätze im Homecarebereich sowohl von den Anbietern der Heil- und Hilfsmittel als auch von den Kostenträgern dafür ungenügend berücksichtigt.

Deshalb meine Forderung: Bilden wir eine Allianz aller Beteiligten, d.h. der Anbieter, die den Kontakt zu den Verbrauchern in den Behinderten-Selbsthilfeorganisationen suchen müssen, um dort vorhandene Erfahrungs- und Erkenntnispotenziale für ihre Bedarfsanalysen und Produktentwicklungen abzurufen. Der Kostenträger, die eine qualitäts- und bedarfsgerechte Ausrichtung der Hilfs- und Heilmittelkataloge mit entsprechender Kostenabdeckung dafür am Verbraucher orientiert erstellen müssen. Und die Verbraucher, speziell die Behinderten, die sich immer wieder aktiv in den Prozess der Auseinandersetzung von Anbietern und Kostenträgern einbringen müssen und durch ihr gesellschaftliches Engagement die notwendigen Rahmenbedingungen in der Politik dafür einklagen."

Medienkontakt:
Manfred Beeres
Leiter Kommunikation/Pressesprecher
Tel: +49 30 246 255-20
E-Mail: beeres(at)bvmed.de
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